Erinnern kann ich mich vermutlich nicht mehr, aber Videoaufnahmen, in denen ich als 2 1/2-Jähriger am Flughafen-Gate vor einer gigantischen Boeing 747 herumturne, haben sich dennoch eingeprägt. Seit ich denken kann, fasziniert mich die Tatsache, dass diese riesigen, tonnenschweren Ungetüme sich in die Lüfte erheben können. Und auch wenn sich ihr Ende in den vergangenen Jahren immer deutlicher abgezeichnet hat, versetzt die Corona-Krise einem Großteil der Jumbo-Jets dieser Welt den Todesstoß und katapultiert Vierstrahler wie 747, A380 und auch A340 in schwindelerregendem Tempo auf die Flugzeugfriedhöfe dieser Welt.

In Zeiten von Flugscham mag es seltsam erscheinen, wenn sich ein Reiseblog den größten Maschinen und damit vielleicht den größten Umweltverschmutzern der Branche annimmt und diesen sogar leicht nostalgisch hinterher trauert.

Aber wie ihr vielleicht schon festgestellt habt, hat Dustin ein nicht gerade dezentes Interesse an der zivilen Luftfahrt. Das resultiert nicht nur in dem ein oder anderen Business Class-Trick, sondern auch oft genug in endlos langen Fotosessions an Flughäfen und Landebahnen. Eine majestätisch hereinschwebende Boeing 747 sorgt dafür, dass er wie von der Tarantel gestochen aus dem Auto hechtet und aufgeregt am Zaun auf und ab läuft, wie ein Hund, dessen Herrchen abends von der Arbeit nach Hause kommt. Was steckt hinter diesen Riesen der Lüfte und wieso sind sie jetzt mehr denn je vom Aussterben bedroht? Vielleicht können wir mit dieser Flugzeug-Geschichtsstunde etwas sensibilisieren, dass diese mächtigen Ungetüme in den vergangenen 50 Jahren einiges dazu beigetragen haben, dass wir und auch viele von euch so unkompliziert und günstig reisen konnten. Boeing 747 & Co haben mehr erreicht, als lediglich die Umwelt zu verpesten.

Das aber haben sie nachweislich natürlich auch getan, daran gibt es gar nix zu rütteln. Eine Boeing 747 kann über 240 Tonnen Kerosin tanken, in einen Airbus A380 passen gar über 300 Tonnen. Von dieser gigantischen Kapazität werden bei der 747 pro Stunde durchschnittlich zehn Tonnen durch die vier Triebwerke gejagt, in der Startphase sind es bis zu 15 Tonnen. Dann ist auch der berüchtigte CO2-Ausstoß am höchsten. Das klingt zunächst irre viel, aber in einem A380 der Lufthansa finden auch bis zu 509 Passagiere Platz, in einer dichteren Konfiguration bei Emirates sogar 615. Gerechnet auf die Langstrecken, auf denen der kriselnde Riese von Airbus eingesetzt wird, kommen so Pro-Kopf-Verbräuche von 3-4 Litern/100 Kilometer raus. Das ist ein Wert, unter dem man sich auch als Autofahrer etwas vorstellen kann und das klingt eigentlich ganz in Ordnung, oder? Die neuesten Langstrecken-Jets aber knacken mittlerweile die 3-Liter-Marke und haben einen bedeutenden Vorteil: sie sind nicht so groß! Denn der größte Nachteil der Riesen-Jets ist, dass viele Airlines Schwierigkeiten haben, sie komplett mit Passagieren zu füllen. Aber nur dann lassen sie sich effizient betreiben.

Ironischerweise war diese enorme Größe das, was die Großraum-Jets mit vier Triebwerken vor über 50 Jahren durch die Decke gehen ließ. Bis dahin waren transatlantische Flügel eine exklusive, extrem teure Geschichte. Junge Paare, die einfach mal alle stehen und liegen lassen, um zur Weltreise zu starten? Damals: No fucking way, es sei denn die Eltern waren Millionäre! Erst mit der Boeing 747 (das Gegenpendant zum deutlich jüngeren A380) änderte sich das langsam, weil Airlines plötzlich viele Passagiere verhältnismäßig günstig über eine absurd weite Strecke befördern konnten. Das war vor über 50 Jahren!
Im Jahr 1965 trat damals Juan Trippe, der Chef von Pan American World Airways, kurz Pan Am, an den damaligen Boeing-Chef William Allen heran und wollte ein Flugzeug mit der doppelten Kapazität der bisherigen verfügbaren Jets. 20 Jahre nach dem 2. Weltkrieg nahm die internationale Luftfahrt gerade so richtig an Fahrt auf und Airlines wie die damals riesige Pan Am wollten wachsen. Um große, interkontinentale Strecken zu fliegen benötigte man zudem große Maschinen mit drei oder vier Triebwerken, allein schon aus Sicherheitsgründen, denn die Flugzeug-Motoren waren damals nicht nur deutlich weniger leistungsfähig als heute, sondern auch wesentlich störanfälliger. „If you build it, I buy i“, sagte der Pan Am-CEO damals zum Boeing-Chef und dieser entgegnete „If you buy it, I build it“. 55 Jahre später können wir sagen: And the rest is history!
Der Ingenieur Joe Sutter entwickelte zusammen mit den Boeing-Chefs das damals größte Passagierflugzeug der Welt, die Boeing 747, die durch ihren ikonischen Buckel im vorderen Bereich der Maschine weltbekannt wurde. 1969 war Erstflug, 1970 wurde das 70,51 Meter lange Ungetüm mit einer Spannweite von 59,60 Meter und einer Maximal-Kapazität von bis zu 490 Passagieren dann in Dienst gestellt. In der Entwicklung brachten die gigantischen Ausmaße die Ingenieure um Joe Sutter an den Rande der Verzweiflug, aber als die bis zu 330 Tonnen erstmals sicher abhoben und wieder landeten, läuteten sie eine Revolution der Luftfahrt ein.
Für den riesigen Vierstrahler wurden Flughäfen umgebaut, Fluggastbrücken neukonstruiert, komplett neue Wartungshallen errichtet, denn erstmals in der Geschichte der Luftfahrt konnte man so effizient eine derart große Menge an Passagieren befördern. So profitierte nicht nur die Luftfahrtindustrie, sondern auch die Fluggäste selber, die plötzlich deutlich weniger für ein Ticket nach Übersee zahlen mussten. Die Boeing 747 machte das Reisen für den Durchschnittsbürger bezahlbar. Die Preise, zu denen wir heutzutage wie selbstverständlich durch die Welt jetten können, haben den Ursprung in genau diesem Flugzeug und deswegen hat das Thema in unseren Augen auch einen Platz in der Reiseblogger-Szene.

Natürlich haben sowohl die heutige Boeing 747, als auch der moderne Airbus A380 nichts mehr mit den Dinosauriern von damals zu tun. Gerade die 747 wurde immer wieder modernisiert, um möglichst effizient zu bleiben. Der Verbrauchs-Unterschied zwischen der 1989 zugelassenen Boeing 747-400 (4,27 Liter) und der aktuellsten Version 747-8 (3,5 Liter) beträgt 0,77 Liter pro Passagier pro 100 Kilometer, also rund 22% weniger. Man kann also nicht sagen, dass sich bei der Luftfahrt beim Kerosin-Verbrauch nichts tut, eine Effizienz-Steigerung von 22% ist durchaus beachtlich. Aber der Jumbo-Jet und auch der Airbus A380 würden nicht auf der Kippe stehen, wenn das nicht noch besser ginge, denn insgesamt gesehen ist der Verbrauch von Flugzeugen heute im Vergleich zum Jahr 1990 um ganze 43 Prozent niedriger.
Immer effizienter ist es mittlerweile auch in kleineren Jets möglich, große Langstreckenflüge zurückzulegen. Das bedeutet die Passagiere sind nicht mehr gezwungen erst mal zum großen Hub-Airport (Frankfurt, Paris, London) zu fliegen, um von dort in die weite Welt zu starten, sondern oft geht das mittlerweile auch schon von kleineren Airports. Da genügen dann natürlich auch kleinere Flugzeuge, die den Riesen-Jets an den Mega-Flughäfen aber ganz still und leise die Passagiere abgraben. Die alte Hub-and-Spoke-Strategie wird von der Peer-to-Peer-Strategie abgelöst. Aber es hilft alles nichts, die Airlines müssen sich anpassen und so begann schon lange vor der Corona-Krise der langsame Abstieg der Super-Jumbos.

Die aktuellste Version der Boeing 747 wurde in der Passagier-Variante (die Fracht-Version ist glücklicherweise erfolgreicher) nur noch rund 40x verkauft und die aufwendige, staatlich subventionierte Neuentwicklung des Airbus A380 hat mit immerhin 251 Bestellungen kaum die Gewinnschwelle erreicht. Der letzte wahrscheinlich je gebaute A380 wird gerade im Airbus-Werk Toulouse für Emirates, dem mit Abstand größten Nutzer des Typs, zusammengebaut. Und das war es dann. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es keinen neuen A380 mehr danach geben und auch bei der Boeing 747-8 sind lediglich noch einige Frachtmaschinen für UPS in den Orderbüchern. Danach dürfte auch diese Ikone langsam aussterben.
Und die Corona-Krise beschleunigt den Prozess des Aussterbens nun ganz rapide. Von jetzt auf gleich wollte (und durfte) im März 2020 so gut wie niemand mehr fliegen und auch wenn der Luftverkehr mittlerweile wieder langsam zunimmt, erwarten beispielsweise die Branchen-Experten vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, dass das Vorkrisen-Niveau wohl erst wieder 2023 erreicht wird. Schlechte Karten also für die Riesen des Himmels, an denen sich mehrere Airlines nun als erstes gesundschrumpfen wollen. Die Liste der Ausmusterungen von Boeing 747 und Airbus A380 wird mit jedem Monat länger, die alten Jumbo-Jets vom Typ Boeing 747-400 hat es bei vielen Fluggesellschaften wie KLM, Virgin Atlantic, Qantas als erste getroffen und die Zukunft des noch recht jungen A380 wird immer ungewisser. AvGeeks rund um den Globus blutet dabei das Herz.
Das trifft auch auf uns, beziehungsweise vor allem auf den kleinen AvGeek Dustin zu, der zu dem Jumbo Jet schon als 2 1/2-Jähriger ungläubig aufgeschaut hat. Aber ist das nur verklärte Nostalgie, die dem unaufhaltsamen Fortschritt im Weg steht? Zum Teil sicherlich, aber ob die aktuelle Entwicklung so nachhaltig vernünftig ist, kann durchaus in Frage gestellt werden, gerade im Hinblick auf de Klimawandel. Der Shift zur Peer-to-Peer-Strategie bedeutet schließlich nicht weniger Flugzeuge. Klar, wir alle lieben Direktflüge, aber ist es wirklich ein Effizienz-Gewinn, wenn von 10 kleinen Airports 10 kleine Maschinen Richtung New York abheben anstelle von 2 gefüllten Airbus A380 von einem zentralen Airport?
Ein weiterer Faktor, den man nicht unterschätzen sollte, ist die Passenger-Experience, die durchaus für Unterschiede in den Ausmusterungsplänen der Airlines sorgt. Der gerade erst ausgemusterte Air France A380 war beispielsweise mit einer extrem veralteten Kabine bestückt, die dafür sorgte, dass Business Class-Kunden dieses Flugzeug gezielt mieden, weil dort keine Lie-Flat-Seats verbaut waren (siehe das oben geteilte Video von Yourtravel.tv). Während Airlines wie Emirates und Etihad ihre Riesen-Jumbos mit luxuriösen First Class-Suiten, Duschen und kleinen Bar-Bereichen ausstatteten, verzichteten vor allem die europäischen Airlines auf derartige Spielereien und nutzten das Flaggschiff lediglich für mehr Sitze aus. Während ein Flug bei Emirates, Etihad oder auch Singapore Airlines im Airbus A380 – vor allem in den höheren Buchungsklassen – etwas besonderes ist, nutzten Air France, Lufthansa & Co das Potenzial des Riesen nie wirklich aus. Das sorgt auch dafür, dass die Lufthansa zur Zeit mit dem Doppeldecker hadert und frühestens 2022 mit der Rückkehr einer um fast die Hälfte abgespeckten A380-Flotte rechnet. Auch die anderen großen Airbus-Vierstrahler vom Typ A340, von denen wir jetzt hier aus Platzgründen gar nicht gesprochen haben, könnten still und leise aus der Flotte verbannt werden.
Die beste Chance auf eine vollkommene Rückkehr hat da noch die verhältnismäßig junge Boeing 747-8 der Lufthansa. Während die älteren Modelle (747-400) des Typs die Corona-Krise wie bei anderen Airlines wohl nicht überleben werden, könnte die modernste Fassung der 747 uns auch nach Corona noch ein paar Jahre erhalten bleiben. Das bestätigt auch Lufthansa-Vorstandsmitglied Detlef Kayser in einem Interview mit der deutschen Zeitschrift Aero International, in dem er sagt:
„Wir wollen eine Komplexitätsreduzierung durch weniger Flugzeugtypen erreichen, die Flotte verjüngen und mustern die unwirtschaftlichen Vierstrahler schneller aus. Die 747-8 wird nicht wie die A380 in Frage gestellt. Sie wird auch geparkt, aber sie ist grundsätzlich bei geringerer Nachfrage rentabler zu fliegen.“
Lufthansa Vorstandsmitglied Detlef Kayser im Aero International-Interview
Die nächsten Monate werden zeigen, wie es weitergeht und ob die internationale Luftfahrt nochmal an Fahrt aufnehmen kann und so vielleicht auch der ein oder andere Riese wieder in die Lüfte abhebt. Ein Hoffnungsschimmer: Zumindest bei Emirates fliegt der A380 ab Mitte Juli wieder.
Die Luftfahrt befindet sich durch die Corona-Krise in einem nicht für möglich gehaltenen Wandel, der die Flotten aller großen Airlines gehörig durcheinander wirbelt. Das dabei gerade die Riesen der Lüfte auf der Strecke bleiben, ist nachvollziehbar, aber aus AvGeek-Sicht sicherlich auch ein bisschen traurig. Aber auch als Reiseblogger darf man sich gerade vor der Boeing 747 durchaus in Ehrfurcht verneigen, ist ihre Entwicklung doch maßgeblich an der gut verzahnten und vor allem erschwinglichen internationalen Luftfahrt beteiligt, die uns heute alle wie selbstverständlich an jeden Punkt der Erde reisen lässt, ob zur Weltreise oder zum 2-Wochen-Trip in die Karibik.
Am Ende unseres nostalgischen Vierstrahler-Nachrufs interessiert uns aber natürlich auch eure Meinung! Liebt ihr auch die Riesen-Jets oder ist euch das Fluggerät bei euren Flügen vollkommen egal? Bevorzugt ihr Direktflüge oder kommt ihr auch gut klar, wenn ihr über einen Hub wie Frankfurt gelenkt werdet, um dann mit einem volleren Großraum-Flugzeug zur Destination durchzustarten?